Die Aserbaidschanische Demokratische Republik (1918-1920) war eine kurze Periode in der aserbaidschanischen Geschichtsschreibung, welche aber wichtige Meilensteine legte. Es wurden sehr bedeutende Schritte in Richtung Demokratie gemacht. So wurde am 21. Juli 1919 das Wahlrecht eingeführt, bei welchem Mann und Frau gleichgestellt waren. Ein Recht, von welchem die Frauen der meisten westlichen Länder zu dieser Zeit nur träumen konnten. Als Fundament für das Gesetz der Staatsbürgerschaft vom 11. August 1919 wurde das Prinzip der Abstammung gewählt. Die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft, stand den Personen und deren Kindern zu, welche auf dem Territorium Aserbaidschans geboren waren. Dabei spielte die ethnische Zugehörigkeit oder Religion keine Rolle. Mitten in diesem dynamischen Wandel: Die deutschen Kolonien.
Wenn wir an die Russlanddeutschen denken, ist Aserbaidschan nicht das erste Land, was einem in den Sinn kommt. Tatsächlich beherbergte Aserbaidschan insgesamt acht deutsche Kolonien von denen die zwei Kolonien Helenendorf und Ahnenfeld die größten waren und auch als Muttersiedlungen bezeichnet wurden.
Die Vorgeschichte
Im Jahr 1763 unterzeichnete Zarin Katharina II., die auch als „die Große“ bekannt ist, das „Einladungsmanifest“. Dieses Manifest lud Ausländer, insbesondere Deutsche, dazu ein, sich in Russland niederzulassen und ein neues Leben zu beginnen. Die ausländischen Neuankömmlinge wurden mit verschiedenen Vorteilen bedacht, darunter die Zusage von Land, das sowohl für ihre eigene Nutzung als auch für kommende Generationen bestimmt war. Darüber hinaus wurden Steuervergünstigungen gewährt, die bis zu 30 Jahre dauern konnten, wenn sie sich dazu entschlossen, auf dem Land zu bleiben. Sie waren zudem von der Wehrpflicht befreit und genossen Autonomie, was bedeutete, dass die russische Verwaltung sich nicht in ihre inneren Angelegenheiten einmischen durfte. Eine der wichtigsten Motivationen für die Auswanderung war zweifellos die von Katharina versprochene Religionsfreiheit. Die ersten deutschen Siedler im Kaukasus stammten aus dem heutigen Baden-Württemberg. Besonders zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Zeiten äußerst schwierig. Die Napoleonischen Kriege hatten der Region, insbesondere Baden, stark zugesetzt. Eine Hungersnot im Jahr 1816 führte zu gestiegenen Steuern und erhöhter Armut. Diese Ereignisse destabilisierten auch die lutherische Kirche und führten zu verschiedenen religiösen Abspaltungen innerhalb des Protestantismus.
Diese Gruppen stützten sich auf die Offenbarung des Johannes und riefen dazu auf, Zuflucht vor der drohenden Apokalypse im Osten zu suchen. Die Anhänger des Separatismus, bekannt als Stundisten, waren größtenteils Bauern oder Handwerker, und damit eine recht große Volksgruppe. Die württembergischen Herrscher versuchten, die Ausbreitung des Separatismus einzudämmen, indem sie beispielsweise neue Liturgien in den Kirchen einführten. Die Separatisten weigerten sich jedoch, diese Veränderungen zu akzeptieren, was zu weiteren Repressionen an den Separatisten führte.
Viele entschieden sich aufgrund der Verfolgung dazu, auszuwandern, wobei die meisten von ihnen in die Neue Welt gingen. Diejenigen, die in der Region blieben, waren weiterhin Verfolgung und Strafen ausgesetzt, bis einige beschlossen nach Osten auszuwandern und zwar in die Nähe der „Wiege der Menschheit.“ Gemeint: Der Berg Ararat, wo die Arche Noahs aus den biblischen Erzählungen nach der Sintflut strandete, und von wo aus laut der Bibel die Menschheit die Erde wiederbesiedelte.
Die separatistische Gemeinde wandte sich während des Besuchs von Zar Alexander I. in Stuttgart an ihn und bat um die Erlaubnis, sich im Kaukasus niederzulassen. Zar Alexander I. gab sein Einverständnis dazu. Tatsächlich waren die Gebiete im Südkaukasus zu der Zeit, noch nicht Teil des Russischen Reiches. Die Khanate, welche sich auf dem heutigen Territorium Aserbaidschans befanden, waren formal unabhängige Gebiete, obwohl sie sich innerhalb des Machtbereichs Persiens befanden. Diese Khanate waren autonome Fürstentümer, die von Khans regiert wurden. Die Region war von Gefahren sowohl aus dem Norden, in Form des Russischen Zarenreiches, als auch aus dem Süden, im Zusammenhang mit dem Persischen Kadjar-Reich, bedroht. Zudem gab es auch Druck vom Osmanischen Reich im Westen. Diese geopolitische Lage hat in gewisser Weise Parallelen zur heutigen Situation. So sind die Beziehungen zwischen Iran und Aserbaidschan eine komplizierte Angelegenheit. Aktuell nähern sich die Länder wieder an, jedoch gab es in der Vergangenheit viele Spannungen. So wurde am im Januar 2023 ein Anschlag auf die Aserbaidschanische Botschaft in Teheran verübt, wobei ein Mitarbeiter der Botschaft verstarb. Außerdem ist dem Iranischen Regime die Beziehung Aserbaidschans zu Israel zuwider, denn der Jüdischer Staat, welche auf offizieller ebene als „kleiner Satan“ bezeichnet wird ,ist der Erzfeind in der Region. Erwähnenswert ist auch ein signifikanter Anteil an Aserbaidschaner in der Iranischen Bevölkerung.15 Millionen sollen es laut offiziellen Iranischen Angaben sein. Auch wenn es keine signifikanten separatistischen Bewegungen gibt und die Meisten sich als Iraner sehen, so hat ein so hoher Anteil einer Minderheit Destabilisierungspotenzial. Auch Russland ist ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Präsident Aliyev der ältere sowie der jüngere pflegen traditionell gute Beziehungen zu Moskau. Doch da Aserbaidschan ein kleines Land zwischen Hegemonien ist, agiert es manchmal kompromissvoll gegenüber seinen größeren Nachbarn, selbst wenn dies nicht im eigenem Interessen ist. So war der zweite Krieg um Berg-Karabach, keine große Herausforderung für Aserbaidschans Truppen. Mit israelischen und türkischen Militärtechnik ausgerüstet, wären sie durchaus in der Lage gewesen das gesamte Territorium des besetzten Gebiets von Bergkarabach wieder zurückzuerobern. Wer dies auf 2023 verschob war ganz klar Russland. Welches auch mit seiner Peacekeeper Mission als Garant für die Stabilität ,zum Wohle Armeniens auftrat. Aserbaidschan ging dies nach, um die guten Beziehungen zu Russland zu erhalten, was sich im Nachhinein als cleverer Schachzug herausstellte, denn 2023, stellten sich die Peacekeeper indirekt auf die Seite Aserbaidschan in dem sie die aserbaidschanische Armee gewähren ließen.
In der Vergangenheit haben einige Khanate im Südkaukasus, darunter das Karabach Khanat und das Talysh Khanat, beschlossen, sich auf die Seite Russlands zu stellen, um sich vor der andauernden Gefahr der Annexion aus Persien zu schützen. Sie nahmen das Protektorat Russlands an, in der Hoffnung, ihre Souveränität unter der Oberhoheit des Zarenreichs zu bewahren. Was sich für diese als Fehlkalkulation herausstellte.
Im Jahr 1813 wurde durch den „Frieden von Gülüstan“ fast das gesamte Gebiet des heutigen Aserbaidschan vom Russischen Reich einverleibt. Einige Jahre später, 1828, verlor Persien erneut im Krieg, und das Gebiet des Russischen Reiches umfasste nun auch die Khanate von Jerewan und Nachitschewan, die ebenfalls an Russland gingen. Mit dem Frieden von Turkmantchai wurde die endgültige Eingliederung der Kaukasus-Region in das russische Territorium abgeschlossen.
In den neu erworbenen Gebieten des Kaukasus fehlte es, an loyalen Einwohner gegenüber den Zaren. Die Zaren waren misstrauisch gegenüber der einheimischen muslimischen Bevölkerung. Obwohl sie formell Bürger des Russischen Reiches wurden, waren Muslime deutlich im Nachteil. Es gab beispielsweise weniger Schulen für die muslimische Bevölkerung, was zu einer niedrigen Alphabetisierungsrate bei den Aserbaidschanern im Vergleich zu Georgiern und Armeniern führte. Ein weiterer wichtiger Faktor war die Siedlungspolitik in der Region.
Tatsächlich versuchte das Russische Reich, Russen, Armenier und auch Deutsche in den Gebieten des heutigen Aserbaidschan anzusiedeln. Dies führte zu erheblichen Spannungen und Konflikten zwischen den armenischen und aserbaidschanischen Gemeinschaften in der Region. Diese Ereignisse wurden auch von Diplomat und Schriftsteller Aleksandr Gribojedow kritisiert. Gribojedov spielte eine Rolle bei der Ausarbeitung des Friedens von Turkmantchai, 1928.
„Die Armenier sind größtenteils auf den Ländereien der muslimischen Landbesitzer angesiedelt. Im Sommer konnte man dies noch tolerieren. Die Gastgeber, Muslime, befanden sich größtenteils auf Wanderungen und hatten wenig Kontakt mit fremden Einwanderern. […]
Alles dies wurde seinerzeit verpasst. Es ist zu spät, den Fehler nach all den Jahren zu korrigieren. Die Siedler selbst leben in beengten Verhältnissen und bedrängen die Muslime. […]
A.S Gribojedow
(Quelle : 91828, A .S Gribojedov Sočinenija v dvuch tomach S 339 – 341.)
Das Ziel des Russischen Reiches war es seine Peripherie zu sichern und loyale oder konfessionsübereinstimmenden Gemeinschaften im Grenzland anzusiedeln. Im Jahr 1763 wurde das „Amt für die Vormundschaft von ausländischen Siedlern“ ins Leben gerufen, um die Region am Schwarzen Meer, die während der Regierungszeit von Katharina der Großen erobert wurde, mit deutschen Kolonien zu besiedeln. Dieses Konzept wurde später auch im Kaukasus angewandt.
Im Jahr 1816 schlug Generalleutnant Aleksey Ermolov, der in der Kaukasischen Armee tätig war, vor, deutsche Kolonien im Kaukasus anzusiedeln. Der Siedlungsprozess begann kurz darauf im Jahr 1818. Die Dauer der Umsiedlung wurde dadurch beeinflusst, dass die deutschen Siedler in größeren Gruppen unterwegs waren, und falls jemand in der Gruppe erkrankte, Pausen eingelegt wurden. Die erste Gruppe von etwa 40 Familien aus Schweikheim in Baden-Württemberg brach auf, und im September 1817 erreichte die erste Gruppe mit etwa 31 Familien den Kaukasus, zunächst in Georgien. Hier wurde auch die erste deutsche Kolonie im Südkaukasus, Marienfeld genannt, etwa 37 Km von Tiflis entfernt, gegründet.
Die Reise in den Kaukasus konnte sowohl auf dem Landweg als auch auf dem Seeweg erfolgen. Der Seeweg war jedoch wesentlich anstrengender, und das heiße Klima begünstigte Krankheiten, wodurch auf dem Seeweg über 1000 Siedler starben. Einige Siedler entschieden sich, auf dem Weg niederzulassen, anstatt den Kaukasus zu erreichen. So siedelten sich 300 Familien, die ursprünglich den Kaukasus als Ziel gesetzt hatten ,, in der Nähe von Odessa an und gründeten die Kolonie Hoffnungstal. Die fruchtbare Schwarzerde der Ukraine unterstützte Ackerbau, Weinbau und Viehzucht. Handwerksbetriebe wie Schmiede und Tischler entstanden. Gerade durch die Schwarzerde wegen welcher die Ukraine als die Kornkammer der Sowjetunion bekannt war ,war die Kolonie sehr ertragreich.
Im Frühling folgten dem Ruf des Kaukasus über 500 Familien, die sich aus Sicherheitsgründen in 10 Gruppen aufteilten, jeweils mit 50 Familien. Zudem erhielten die Familien Geld aus der zaristischen Staatskasse für Karren.
Die Familien trafen im Herbst 1818 ein, mussten jedoch den Winter abwarten, bevor ihnen Land zugewiesen wurde. Jede Familie erhielt schließlich 35 Desjatin (etwa 382,39 Meter). Die ersten Kolonien in Georgien wurden gegründet, darunter Marienfeld, Neu Tiflis, Aleksanderdorf, Elisabethtal, Ekateriennefeld und Petersdorf. Da die vom Staat zur Verfügung gestellten Landstücke nicht ausreichten, wurden die übrigen Siedler im Uezd Elisavetopol (Ganja) zwangsumgesiedelt. Dies markierte den Beginn der ersten deutschen Kolonien in Aserbaidschan.
Die Kolonien Aserbaidschans
Im Jahr 1819 entstanden Helenendorf und Ahnenfeld. Insgesamt wurden etwa 127 Familien (ca. 600 Personen) in Helenendorf und 67 Familien in Ahnenfeld (ca. 300 – 400 Personen) angesiedelt. Diese insgesamt 194 Familien erwiesen sich als die widerstandsfähigsten und überwandten große Entfernungen auf dem Weg in die neuen deutschen Kolonien.
Die Umsiedlung der Deutschen in den Südkaukasus war in der Tat eine der letzten großen Migrationswellen deutscher Einwanderer ins Russische Reich. Nach dieser Phase wurde die Politik des Russischen Reiches gegenüber Einwanderern in gewisser Hinsicht siedlungsfeindlicher. Die Bedingungen und Anreize für weitere Einwanderung und Umsiedlung änderten sich, und es wurden immer mehr Einschränkungen und Restriktionen eingeführt. Es ist wichtig zu beachten, dass die Entwicklung der Kolonien in Aserbaidschan Zeit und Anpassung erforderte. Die ersten Jahre auf dem Territorium Aserbaidschans waren zweifellos kein Wunschkonzert. Die Siedler mussten sich zunächst unter anderem, an das Klima gewöhnen.
Insgesamt wurden der Kolonie Helenendorf 5906 Desjatin (etwa 64 Quadratkilometer) und der Kolonie Ahnenfeld 3568 Desjatin (etwa 39 Quadratkilometer) zugewiesen. 1854 – 1857 wurde dort die erste evangelisch-lutherische Kirche im Land errichtet. Die Regierung leistete auch eine Art Starthilfe, indem sie in der Kolonie Helenendorf 89 neue Häuser für die Siedler errichtete, und die Kolonisten mussten wie versprochen in den ersten 10 Jahren keine Steuern zahlen.
Eine der Herausforderungen war, dass viele Siedler aufgrund des Klimas schnell krank wurden. Ein tragisches Ereignis war der Russisch-Persische Krieg von 1826 – 1828, bei dem viele Siedler ums Leben kamen. Große Teile der Kolonien wurden während dieser Zeit zerstört, und die Siedler fanden vorübergehend in den georgischen Kolonien Schutz. Die Kolonien erhielten weiterhin finanzielle Unterstützung, aber eine neue Tragödie traf Helenendorf im Jahr 1929, als dort die Pest ausbrach.
Die Kolonie Ahnenfeld hatte es noch schwerer. Von den 426 Siedlern überlebten nach dem Krieg und der Epidemie nur 160. Die klimatischen Bedingungen in Ahnenfeld waren schlechter als in Helenendorf, und das Schicksal der Kolonie war eine Zeit lang ungewiss. Am Ende wurde sie um etwa 8 Kilometer weiter verlegt. Die Komplikationen führten jedoch dazu, dass Ahnenfeld bis zum Ende unterentwickelter war als Helenendorf.
In den ersten Jahren lag der Fokus der Kolonien weniger auf dem Verkauf eigener Produkte, sondern vielmehr auf der Selbstversorgung. Die russischen Behörden versuchten jedoch, die Wirtschaft der Kolonien anzukurbeln. Es wurden Versuche unternommen, die Seidenproduktion und den Reisanbau zu fördern. Fünf Jungen aus der Kolonie wurden nach Sheki geschickt, um die Seidenproduktion zu erlernen, und viele der Kolonisten waren danach in der Lage, Seide herzustellen. Allerdings blieb dieses Unterfangen kommerziell wenig erfolgreich. Es ist erwähnenswert, dass die deutschen Siedler in den Kolonien vor dem Handel nur wenig bis gar keinen Austausch mit der aserbaidschanischen Bevölkerung hatten, da es nur wenige Dinge gab, die sie von den Einheimischen übernahmen. Die Siedler waren in erster Linie in der Landwirtschaft tätig und bauten Getreide an, hielten Vieh und betrieben Landwirtschaft.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte sich die wirtschaftliche Lage. 1859 wurde die erste Erdölraffinerie errichtet, was zu einer Verbesserung der Wirtschaft in der Region führte. Die Landwirtschaft entwickelte sich weiter, eine Eisenbahnstrecke wurde gebaut, und der Weinbau, den die deutschen Siedler bereits in ihrer Heimat in Baden-Württemberg praktizierten, erwies sich als die Hauptaktivität der deutschen Siedler. Der Wein, der eine ausgezeichnete Qualität hatte, wurde in der Region sehr beliebt. Dies lag unter anderem daran, dass Aserbaidschan eine muslimische Region war, in der der Konsum von Alkohol nicht weit verbreitet war, und es daher kaum Konkurrenz gab. Bedeutende Weinzentren waren Shusha, Agdam, Elisavetopol (Ganja) und die deutschen Kolonien.
Aber auch die Landwirtschaft und der Ackerbau entwickelten sich gut. Die landwirtschaftliche Ausrüstung war von überdurchschnittlicher Qualität und wurde aus dem Ausland importiert. Mit dem Beginn des Handels kam es endlich zu einem kulturellen Austausch, und die Siedler übernahmen einige landwirtschaftliche Praktiken von den Aserbaidschanern. Die Anlage von Gemüsegärten wurde ebenfalls gängige Praxis. Fast jeder Siedler züchtete Obst oder Gemüse.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gewann auch die Viehzucht an Bedeutung. Dies war auf den Kauf von Pferden und Kühen von der Firma Forer zurückzuführen. Die Firma Forer errichtete eine Farm zur Fleisch- und Milchproduktion. Ein Spezialist aus der Schweiz wurde eingestellt, um die Qualität der Produktion sicherzustellen. Die Milchprodukte aus den deutschen Kolonien erfreuten sich aufgrund ihrer guten Qualität großer Beliebtheit. Dennoch blieb die Weinproduktion weiterhin die Haupteinnahmequelle von Helenendorf und Ahnenfeld.
Grob unterteilt könnten die Kolonien in drei Kategorien eingeteilt werden:
- landwirtschaftliche Kolonien
- Viehzuchtkolonien
- Weinbaukolonien.
Der Erfolg des Weinbaus führte zur Industrialisierung in den Betrieben und förderte eine kapitalistische Entwicklung.
Die Weinproduktion in den deutschen Kolonien war so erfolgreich, dass der verfügbare Platz nicht ausreichte, und es bildeten sich sogenannte Tochterkolonien. Im Jahr 1866 erhielt die Kolonie Helenendorf aufgrund einer Vereinbarung zwischen staatlichen Stellen und den örtlichen Gemeinden weiteres Land, aus dem sich die Tochterkolonie Georgsfeld entwickelte. In den folgenden Jahren entstanden weitere Tochterkolonien: Alekseevka (1902), Grünfeld (1905), Eigenfeld (1906), Traubenfeld (1912) und Elisavetinka (1924).
Große Unternehmen im Weinbau waren Forer und Hummel. Diese Unternehmen waren nicht nur die größten in der Kolonie, sondern im gesamten Südkaukasus. Die Weinproduktionen wurden auch nach Sibirien exportiert. Im Jahr 1910 erreichte der Weinexport der Brüder Forer 450.000 Eimer in die inneren Gouvernements, was dem Unternehmen und der russischen Wirtschaft insgesamt zugutekam. Im Jahr 1904 erhielt Christian Forer den Titel „Verdienter Staatsbürger des Russischen Reiches“. Auch die Familie Hummel war bekannt für ihre Kreationen, darunter eine Cognac-Fabrik.
Die deutschen Kolonien sollten als landwirtschaftliche Gemeinschaften betrachtet werden. Es gab ein Landgericht, aber im Allgemeinen gab es einen Ältesten, der als „Schulz“ bezeichnet wurde. Der Schulz hatte verschiedene Aufgaben, darunter die Einziehung von Steuern, die Überwachung der Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften, sowie die Aufrechterhaltung der Funktionalität von Geräten. Der Schulz hatte auch die Befugnis, individuelle Siedler zu bestrafen, falls es zu mal zu Krawallen oder zur Nichteinhaltung der Arbeitsregeln kam. Der Schulz wurde alle zwei Jahre gewählt und hatte zwei Assistenten, die als „Beisitzer“ bezeichnet wurden und sich ebenfalls alle zwei Jahre zur Wahl stellten. Der Schulz war jedoch nicht allmächtig, es gab auch eine Art Parlament namens „Landrat.“
Während des Ersten Weltkriegs bekamen die deutschen Kolonien in Aserbaidschan die Auswirkungen des Krieges zwischen den Mittelmächten (darunter Deutschland) und der Entente (bestehend aus Russland, Frankreich und England) zu spüren. Es wurden Gesetze erlassen, die sich gegen Deutschland und die deutschen Kolonien richteten. Im August 1916 wurde beispielsweise das Unterrichten in deutscher Sprache verboten, mit Ausnahme des Religionsunterrichts und der deutschen Sprache selbst. Bereits im Jahr 1915 wurden Maßnahmen zur Beschränkung des Eigentumsrechts durchgesetzt. Es wurden auch vermehrt Spionagevorwürfe erhoben, was zu einer Reihe von Auswanderungen von Deutschen führte. Die deutschen Kolonien in Aserbaidschan waren auch wiederholt Plünderungen durch die Dashnakzutyun ausgesetzt, einer armenischen radikalen nationalistischen Bewegung. Am 9. Februar 1916 wurden die deutschen klingenden Namen der Kolonien russifiziert, so wurde aus Helenendorf – Eleneno, aus Ahnenfeld – Anneno, aus Eigenfeld – Petrovka, aus Georgsfeld – Georgieyevskoe, aus Grünfeld – Zelenaya Polyana und aus Traubenfeld – Vinogradnoye Pole.
Es ist erwähnenswert, dass trotz all dieser Einschränkungen die Bürger der Kolonien während des Ersten Weltkriegs in der russischen Armee gedient haben. Es gibt keine besonderen Aufzeichnungen über Desertationen. Zum Beispiel dienten 187 Siedler aus der Kolonie Helenendorf in der russischen Armee. Die Kolonisten sammelten auch Geld und andere Güter, die dem Roten Kreuz zugutekamen. Diese Faktoren erleichterten das Leben der Kolonisten in dieser Zeit nicht wirklich. Die Historikerin Sudaba Zeynalova nimmt an dass, wenn der Krieg nicht 1918 geendet wäre und es keine Revolution in Russland gegeben hätte, die deutschen schon in den folgenden Jahren möglicherweise nach Sibirien deportiert worden wären.
Eine neue Epoche: Die Aserbaidschanische Demokratische Republik
In Aserbaidschan wurde die Abdankung des Zaren Im Februar 1917 überwiegend positiv aufgenommen. Im Gegensatz zur provisorischen Regierung, betonten die Bolschewiki die Souveränität der Völker Russlands. Die „Deklaration der Rechte der Völker Russlands“ war eines der ersten veröffentlichten Dokumente der Bolschewiki nach der Machtübernahme.
Im Jahr 1911 wurde die Müsavat Partei in Aserbaidschan gegründet, auch bekannt als die Muslimische Demokratische Partei. Sie war eine sozialdemokratische Revolutionspartei mit nationalistischem Hintergrund und setzte sich für die Selbstbestimmung der Azeri-Türken und anderer Völker Russlands ein. Die Partei verfolgte panturkistische Ideen und betonte gleichzeitig Gleichberechtigung und Glaubensfreiheit. Ihre Prinzipien umfassten Turkismus (Blau), Islam (Grün) und Europa (Rot) ,welches als Symbol für Zivilisation und fortschritt stand . Farben, die heute noch in der aserbaidschanischen Flagge zu finden sind. Ursprünglich strebte die Partei eine erhöhte Autonomie innerhalb des Russischen Imperiums an. Die endgültige Unabhängigkeit Aserbaidschans ergab sich jedoch vor allem wegen der Ereignisse am 31. März 1918, dieses Datum wird auch als Genozid an der Aserbaidschanischen Bevölkerung verstanden. Die Bolschewiki taten sich mit der Dashnakzutyun zusammen um die Politische macht der Müsavat zu Schwächen, bzw. gänzlich auszulöschen und richteten ein Gemetzel an der Aserbaidschanischen Zivilbevölkerung an. Die Opferzahlen werden auf ca. 12.000 geschätzt. In Quba wütete der daschnakische Offizier Hamazasp Srwandzjan. Er war bekannt für seine Grausamkeiten, und soll explizit gesagt haben , dass er nicht gekommen sei, um den Bolschewismus auszuweiten, sondern vor habe, als Rache für den armenischen Genozid, die Muslime vom Kaspischen Meer bis zum Sahdag Berg auszurotten.
Die Anhänger der Müsavat riefen am 28 Mai 1918 die Unabhängigkeit Aserbaidschans in Tiflis aus. Die Relokation nach Tiflis geschah nach den März-Ereignissen. Die Müsavatisten wurden aus Baku von Bolschewiken und Dashnaken während es oben erwähnten Massakers vertrieben.
Während der Zarenherrschaft und auch der provisorischen Regierung, waren die Bolschwiki und die Müsavat keine verbündeten, aber beide Parteien hatten ähnliche Ansichten im Bezug auf die Selbstbestimmung der Völker. Müsavat und die Bolschewiki waren sich auch in Bezug auf den Ersten Weltkrieg einig. Während Menschewiki und Daschnaken die Position vertraten weiterzukämpfen, wollte die Müsavat den sofortigen Frieden, vor allem mit der für die Aserbaidschaner brüderlichen Türkei.
Nach den März-Ereignissen wurde auch der Müsavat klar, dass die Bolschewiki, mit denen man noch am Anfang in gewissen Punkten übereinstimmte, nun als Feinde einzustufen sind. Die Bolschewiki und die Dashnaken besetzten das Territorium Abscherons, wo sich auch die Ölfelder befanden, wo sie die Bakuer Kommune gründeten.
Das Osmanische Reich war der erste Staat, welcher die Unabhängigkeit Aserbaidschans anerkannte. Am 4. Juni 1918 wurde in Batumi zudem ein Friedens- und Freundschaftsvertrag mit dem Osmanischen Reich unterzeichnet.
Der vierte Punkte dessen besagte:
„Bei Bedarf seitens der Regierung der Republik Aserbaidschan wird die osmanische Regierung mit der notwendigen Streitmacht helfen, um für innere Disziplin und Ordnung zu sorgen.“
(Batum müqaviləsi (1918) Müəllif: Azərbaycan, Türkiyə. Xarici İşlər Nazirliyi arxivi, 560 nömrəli qutu)
Die aserbaidschanische Regierung sicherte sich sofortige Unterstützung vom Osmanischen Reich für die Rückeroberung von Baku. Im Mai 1918 wurde Nuri Pasha von der Regierung Enver Pashas mit einer wichtigen Mission betraut: Er sollte sich mit den Truppen des Muslimischen Korps in Ganja zusammenschließen. Das übergeordnete Ziel bestand darin, eine vereinte Kaukasische Islamische Armee zu formieren und die Stadt Baku zu erobern. Die gestellten Aufgaben waren vielfältig, darunter die Vertreibung der Bolschewiki und Dashnaken aus Baku sowie die Verhinderung jeglicher Versuche der Engländer, sich dort niederzulassen. Die Zeit wurde auch knapp, denn die bolschewistischen Truppen waren bereits auf dem Weg nach Ganja, um der neugegründeten Aserbaidschanischen Demokratischen Republik ein Ende zu setzten. Die Probleme im Bezug auf die Versorgung wurden durch Bemühungen von muslimischen zivilgesellschaftlichen Organisationen angegangen, die Produkte auf dem Markt beschafften. Die finanzielle Unterstützung für das Korps wurde auch teilweise durch Beiträge von bekannten Mäzenen wie Gadschi Zeynalabdin Tagiyev und Musa Nagiyev sowie anderen sichergestellt. Aber auch die deutschen Kolonien leisteten einen Beitrag zum Sieg der ADR in dem auch sie die islamische Armee versorgten.
So gab es die Situation, dass die erste Hauptstadt der Neugegründeten ADR nicht Baku sondern Ganja war. Das lag daran, dass Baku zuvor von dashnakischeschen und bolschewistischen Gruppen besetzt worden war. Die Regierung der ADR befand sich also zunächst in Ganja, doch waren auch militante armenische Truppen präsent. Helenendorf nahm dabei einen wichtigen strategischen Punkt ein. Die Islamische Arme bot dabei dem freiwilligen deutschen Korps an, sich bei der Operation zu beteiligen. Die armenischen Truppen wurden so gemeinsam entwaffnet.
Die Beziehung zwischen dem Deutschen Reich und der Demokratischen Republik Aserbaidschan war angespannt, da die Bolschewiki eine Vereinbarung mit Deutschland getroffen hatten. Am 27. August 1918 wurde ein Zusatzvertrag zum Vertrag von Brest-Litovsk geschlossen, in dem sich die deutsche Seite verpflichtete, keine weitere Unterstützung für „Drittländer“ (damit war das Osmanische Reich gemeint) zu leisten. Im Gegenzug sollte ein Viertel des in Baku geförderten Öls an das Deutsche Reich gehen. Diese Abmachung führte zu Spannungen mit der aserbaidschanischen Seite, da faktisch mit aserbaidschanischem Besitz gehandelt wurde.
Währenddessen zerbröckelte die Bakuer Kommune. Essery, Dashnaktsutyun und Menschewiki befürworteten den Ruf nach Unterstützung durch die Engländer, während die Bolschewiki die Anwesenheit der Engländer als Ausbreitung des westlichen Kolonialismus ansahen. Die Engländer, die zu dieser Zeit in Persien stationiert waren, wurden trotz der Proteste der Bolschewiki hinzugezogen. Der Bakuer Sowjet, hauptsächlich bestehend aus Bolschewiki und Anhängern der Dashnakzutyun-Partei mit pro-bolschewistischer Ausrichtung, hörte Ende Juli 1918 auf zu existieren. An seiner Stelle wurde die „Zentralkaspische Diktatur“ etabliert, die von Dashnakzutyun-Mitgliedern, Essery und Menschewiki dominiert wurde. Diese Koalition erhielt Unterstützung von den britischen Streitkräften. Gegen Ende Juli entschieden sich die leitenden Kommissare des Bakuer Sowjets dazu, ihre Ämter niederzulegen und Baku zu verlassen. Diese wurde jedoch am 20 Dezember in Krasnovodsk, heute Turkmenbashi, von den Britten ermordet. Die Geschichtsschreibung der Sowjetunion machte später die Ermordung der 26 bakinischen Kommissare zu einem wichtigen Bestandteil des Märtyrerkults. Diese Ereignisse wurden genutzt, um die Opferbereitschaft im Kampf gegen imperialistische Mächte zu betonen und auf die Grausamkeiten dieser Mächte hinzuweisen.
Die Islamische Armee Marschierte am 15. September in die Stadt ein. Die Briten zogen es vor sich doch nicht mit der Islamischen Armee in ein Gefecht zu stürzen, und verließen Baku. In der armenischen Literatur wird oft die Zahl von 30-35 Tausend getöteten Armeniern nach der Einnahme von Baku genannt. Allerdings bestätigen Quellen diese Daten nicht. B. Ishkhanian, der 1920 unmittelbar nach den Ereignissen schrieb, berichtet von 5.24828 Todesopfern, ohne anzugeben, wie viele von ihnen durch bewaffnete Handlungen und wie viele durch Pogrome ums Leben kamen. Diese Zahl schließt zusätzlich 25% nicht identifizierte Opfer ein.
Die ADR: Der Weg zur Unabhängigkeit
Wie schon oben erwähnt, wurde jedem, der auf den Territorien Aserbaidschans geboren war, die Staatsbürgerschaft gewährt. Damit waren die Kolonisten die seit Generationen hier lebten direkt allen anderen Gleichgestellt. Auch bekamen die Deutschen eine Vertretung im Parlament. Von 120 Plätzten bekam die deutsche Minderheit einen Abgeordneten.
Hier ist ein Auszug aus der Begrüßungsrede des Abgeordneten Lorenz Yakovlewitch Kun am 10. Dezember 1918 bei einer Sitzung des Parlaments:
„Und so, da wir an der Schwelle eines neuen Jahrhunderts unseres Lebens im Kaukasus stehen, rufen wir, die Deutschen von Aserbaidschan, dazu auf, die positiven Vorzeichen in dieser grundlegenden Veränderung unseres Lebens zu sehen. Wir blicken ruhig in unsere Zukunft und glauben fest daran, dass wir unter dem Schutz der demokratischen Gesetze der jungen Aserbaidschanischen Republik die Möglichkeit haben werden, unsere nationale Eigenart zu bewahren und unser friedliches Arbeitsleben fortzusetzen. Wir sind immer bereit, mit Freude und all unserer Kraft, in enger Zusammenarbeit mit allen Bevölkerungsgruppen in unserer Region, zum Wohl und Wohlstand Aserbaidschans beizutragen.“
Parlamentsrede: Lorenz jakovlevich Kun. 10 Dezember.1918.
(Zeynalova S.80.“Nemeckie Kolonii v Azerbajdžane 1819 -1941.
Государственный Архив Азербайджанской Республики (ГААР)
Балаев А. Азербайджанское национально демократическое движение 1917-1920 гг., Б., „Элм“, 1990,с.88)
Auch bemerkenswert ist das 100 Jährige Jubiläum der Kolonie Helenendorf welches am 9. Juni 1919 staatfand.
Bedeutsam ist das Telegramm aus Baku, das vom Vorsitzenden des Parlaments der ADR, Agayev, gesendet wurde:
„Im Namen des Präsidiums des Parlaments der Republik Aserbaidschan begrüßen wir das hundertjährige Bestehen der Kolonie Helenendorf und senden die besten Wünsche für die weitere Entwicklung und das Wohlergehen dieser kleinen kulturellen Gemeinschaft.“.
(Zeynalova S.80.“Nemeckie Kolonii v Azerbajdžane 1819 -1941.)
Im Vergleich zur Politik des zaristischen Russlands, die vor allem seit dem Krieg immer weniger tolerant gegenüber den Deutschen im Land wurde, war die Existenz der Kolonien innerhalb der ADR schon fast eine Erleichterung. Die Deutschen genossen gleiche Rechte wie alle anderen Bürger, und wurden nicht daran gehindert, ihren Aktivitäten nachzugehen, und waren auch außerhalb der deutschen Kolonien aktive Bürger, die einen bedeutenden Beitrag zur Gesellschaft leisteten.
Es ist bemerkenswert, dass die Menschen in Aserbaidschan die ehemaligen deutschen Kolonien bis heute nicht vergessen haben. Sowohl auf staatlicher Ebene als auch auf individueller Ebene wird viel Wert auf ihren Erhalt und ihre Erinnerung gelegt. Die Menschen erinnern sich liebevoll an die deutschen Siedler, die hier friedlich lebten und im Jahr 1918 Teil eines vielversprechenden Staates wurden, dessen Verfassung seiner Zeit voraus war.
Die lutherische Kirche in Baku wurde zwischen 1895 und 1897 auf Initiative der deutschen Einwohner errichtet und am 14. März 1899 geweiht. Die deutschstämmigen Bewohner von Baku baten den Architekten Eichler, die Kirche im Stil der Kirche in Helenendorf zu gestalten. Die Anordnung von Präsident Alieyev zur Restaurierung der deutschen Kirche, die zwischen 1895 und 1897 in Baku erbaut wurde, war ein Beispiel für eine Freundschaftliche Geste gegenüber dem deutschen Volke.
Um die reichen historischen und kulturellen Verbindungen zwischen zwei Nationen stets im Gedächtnis zu behalten und zu würdigen, erließ Präsident Ilham Aliyev der Republik Aserbaidschan am 30. Juli 2016 eine Verordnung anlässlich des 200. Jahrestags der Ankunft der ersten deutschen Siedler im Südkaukasus. Im Jahr 2017 feierte man das 200-jährige Jubiläum der Ankunft dieser ersten deutschen Siedler im Südkaukasus.
Im Erlass heißt es:
„Es ist denkwürdig, dass der 200. Jahrestag der Ankunft der ersten deutschen Siedler im Südkaukasien auf das „UNESCO Programm der Jubiläen von hervorragenden Persönlichkeiten und bedeutenden Ereignisse für die Jahre 2016-2017“ gesetzt worden ist. Die deutschen Siedler haben tiefe Spuren in der Geschichte und Kultur des aserbaidschanischen Volkes hinterlassen.“
Galiya Aliyeva: MAGAZIN KASPIJ № 230. 2019 S. 11-12 Dezember.
Die Erste Aserbaidschanische Demokratische Republik währte nicht lange. Am 27. April 1920 marschierten die sowjetischen Streitmächte in Aserbaidschan ein. Dieses Ereignis bedeutete eine neue Epoche sowohl für Aserbaidschan als auch für die dort lebenden Deutschen. Eine Epoche, die geprägt war von tragischen Ereignissen, ebenfalls für die beiden Völker. Doch dies ist eine andere Geschichte.
Die deutschen Kolonien im Gedächtnis der Aserbaidschaner.
Im Januar 2024 hatte ich zufällig die Gelegenheit, nach Baku zu reisen. Ursprünglich plante ich, nach Tovuz zu gehen, das damals die Kolonie Traubenfeld war. Leider waren die Landesgrenzen immer noch geschlossen, und ich konnte nicht die rund 100 Km auf dem Landweg von Tbilisi aus zurücklegen. Also wurde es die klassische Flugroute Tbilisi-Baku und zurück. Da sich die Kolonien eher in Westaserbaidschan befanden und ich nur 2 Tage in Baku verbringen würde, entschied ich mich, diese Reise zu unterlassen, und stattdessen Baku zu erkunden.
Während dieser zwei Tage kam ich mit verschiedenen Menschen ins Gespräch. Mit dem Mann an der Rezeption im Hotel, einem Souvenirladenverkäufer in Icherisheher (Altstadt Baku), einem Chai-Verkäufer und einem Sicherheitsmann. Alle verstanden Russisch, aber der Rezeptionist, der etwa in meinem Alter war (24 Jahre), beherrschte Englisch besser. Allgemein fiel mir auf, dass die Leute in Baku weniger Angst hatten, Russisch zu sprechen (vielleicht, weil man vor allem bei älteren Leuten mit Englisch weniger weiterkommt). Ich muss gestehen, dass in Tbilissi die Menschen zwar ebenfalls sehr nett und zuvorkommend waren, aber aufgrund der fast überall präsenten Anti-Russland-Graffiti hatte ich schon etwas „Besorgnis“, laut Russisch zu reden. In Baku fühlte sich jedoch alles entspannter an. Hier gibt es sogar einen russischen Schulsektor, in dem die Kinder offiziell Russisch lernen. Mit meinem leicht orientalischen Aussehen hätte ich auch als Kaukasierin oder andere Landsfrau durchgehen können, ohne einen Bezug zu Russland zu haben. Diese „Angst“ verflog jedoch schnell.
Ich sprach mit den Menschen über die aserbaidschanische Geschichte, die Safaviden oder Karabach. Auch begann ich, von meiner iranischen Seite zu erzählen, was zu meiner Überraschung überhaupt keine Negativität nach sich zog. Dabei dachte ich immer an die geografische Karte der Kaukasus-Region und wie sich Aserbaidschan zwischen Russland und Iran damals eingeklemmt fühlen musste. Und dann noch der Ukrainekrieg… der noch einmal gezeigt hat, dass das „Russische Imperium“ im zwanzigsten Jahrhundert keine Einbildung ist. „Bin ich nicht der ultimative Feind für diese Menschen, wenn es nach der Nation geht? Vor allem, nachdem ich diese ganze Geschichte so gut studiert habe?“ .
Nein. Denn am Ende sind wir alle Menschen. Und am Ende bin ich, selbst mit iranischen Wurzeln, kulturell gesehen sogar viel näher an diese Menschen. Es war eine Art Lektion für mich. Umso überraschter war ich, dass selbst Sicherheitsmänner so gut über die deutschen Kolonien Bescheid wussten. Die lutherische Kirche in Göygöl (Helenendorf) ist sehr bekannt und wird umgangssprachlich „die deutsche Kirche“ genannt. Und alle die oben erwähnten Menschen kannten sie, wenn auch nicht die ganze Geschichte dahinter. Mit eigenen Augen habe ich erlebt, dass die deutschen Kolonien nicht nur ein fast vergessenes Phänomen in der aserbaidschanischen Geschichte sind, sondern ein wichtiges historisches Kulturgut, über das die Menschen in Baku fast mit Stolz berichten. Leider muss auch ein eher negatives post-sowjetisches Merkmal erwähnt werden. Außerhalb großer Städte oder wichtiger Orte wie zum Beispiel Göygöl sind die Straßen und Häuser eher verwahrlost. Ein Hotelmitarbeiter zeigte mir ein Video, in dem sein Bekannter außerhalb von Göygöl mit dem Fahrrad unterwegs war, und sich eine für die meisten post-sowjetischen Dörfer sehr bekannte Szenerie offenbarte. Die Menschen sind sich dieses Problems bewusst und nehmen es ähnlich wie Menschen in entlegeneren Teilen Russlands, Moldaus, der Ukraine und weiteren Staaten aus Gewohnheit mit Humor.
Ein wunderschönes Kapitel für mich als angehende Historikerin, das sicherlich weitergehen wird. Dabei hat alles damit angefangen, dass mein guter Freund, Ernst Mustafayev, mir nichts über sein Herkunftsland erzählen konnte. Nun kann ich ihm vieles erzählen! Und vor allem den ganzen Lesern!