Evald Kahlmann
Moiseevka – einst ein Deportationsort voller Leid, hat sich für viele Russlanddeutsche zur neuen Heimat entwickelt, wo Vergangenheit und Zukunft untrennbar miteinander verbunden sind
Der Beitrag „Moiseevka – vom Deportationsort zur Heimat?“ von Evald Kalmann beleuchtet die Kollektiverfahrung derjeniger Russlanddeutscher, die während des Zweiten Weltkriegs nach Kasachstan deportiert wurden. Am Beispiel des Dorfes Moiseevka erzählt Kalmann von der Deportation und den schwierigen Lebensbedingungen in einer Sondersiedlung, aber auch von den Bemühungen der nachfolgenden Generationen, den Ort als neue Heimat zu etablieren. Interviews mit Zeitzeugen ergänzen die Reflexion über Identität, Erinnerung und Heimatgefühl.
Moiseevka – vom Deportationsort zur Heimat?
„Heimat ist da, wo ich verstehe und verstanden werde.“
– Karl Jaspers
Der russische Dichter W. Majakowski schrieb in einem Gedicht: „Ich bin ein Dichter, das macht mich interessant.“ Wenn ich diese Aussage auf mich umformulieren würde, würde sie lauten: „Ich bin ein Russlanddeutscher, damit bin ich auch interessant.“
Ich bin Russlanddeutscher, geboren in einem Deportationsort in Kasachstan, 65 Jahre alt, berufstätig, verheiratet und habe drei Kinder. Ich lebe seit 1991 in Deutschland. Ich bin außerehelich geboren, mein Vater war kein Russlanddeutscher.
Ich bin in einem kleinen Dorf namens Moiseevka[1] im Norden Kasachstans, Gebiet Pawlodar, geboren. Dorthin wurde meine Mutter, eine Russlanddeutsche, von der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen[2] durch das verbrecherische Regime der Kommunistischen Partei der UdSSR während des Zweiten Weltkrieges deportiert. Geboren bin ich 14 Jahre nach Kriegsende und vier Jahre nach Aufhebung der NKWD-Sonderkommandantur[3].
Ich möchte in diesem Bericht mit vielen meiner Landsleute, die in verschiedenen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland leben, als zeitgenössischer Zeuge auftreten, um von den Erlebnissen zu berichten, die ich, meine näheren Verwandten und die Landsleute aus meinem Dorf beim Deportationsprozess durchlitten haben. Ebenso möchte ich von den Anstrengungen erzählen, die sie auf sich genommen haben, um ihr Leben an ihrem Deportationsort wiederaufzubauen. Schließlich möchte ich darauf eingehen, wie eine neue Deportationsgeneration den Deportationsort Moiseevka in einen Heimatort umzuwandeln versuchte.
Das Schicksal der Deportierten in Moiseevka als Spiegelbild der Geschichte der Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion
Die unmenschliche und vernichtende Geschichte der Deutschen in der Sowjetunion fing noch viele Jahre vor der eigentlichen Deportation im Zweiten Weltkrieg an. Die schrecklichen Schicksale der Kollektivierung, Deportation, Hungersnot und Kriegsfolgen der Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion haben auch in fast jeder Familiengeschichte blutende Wunden hinterlassen, die bis heute nicht verheilt sind. So haben viele Großmütter und Großväter, Mütter und Väter, Tanten und Onkel und weitere Verwandte ihr Leben im Kontext der Kollektivierung und Entkulakisierung[4] verloren. Des Weiteren verstarben hunderttausende meiner Landsleute in der sogenannten Trudarmee, einer weiteren Folge der Deportation, sowie der Kommandantur.
Am zwölften September 1941 wurden Angehörige meiner Familie zusammen mit weiteren Landsleuten aus einem Dorf in der Wolgadeutsche Republik mit dem Zug Nummer 789 von der Station Rimski-Korsakow in Viehwaggons zunächst nach Kasachstan, dann nach Pawlodar und anschließend mit dem Schiff direkt nach Moiseevka transportiert. Andere wurden nach Zhelesinka befördert und von dort mit dem Pferdewagen nach Moiseevka gebracht. Meine verstorbene Mutter und meine Tante berichteten mir vor vielen Jahren über zahlreiche Todesfälle in den Deportationszügen. Die Leichname der Toten wurden an den Haltestationen unter Anwesenheit der bewaffneten Wächter an Bahnbehörden dieser Stationen übergeben und wahrscheinlich anonym bestattet. Angehörige haben nie Informationen über die Beerdigung und den Bestattungsort erhalten.
Die in Bonn lebende Maria Warlamowa (geb. Schander), die als Kind die Deportation nach Moiseevka miterlebte, erzählte mir, als ihre Familie am Hang des Irtysch abgeladen wurde, sahen sie die ärmlichen Lehmhütten und begriffen, dass ihr Schicksal nicht zu Ende war.
Ihnen wurde bewusst, dass sie neu anfangen und den kommenden harten sibirischen Winter überleben mussten. Die Deportierten sollten sich selbst eine Unterkunft bauen oder auf die einheimische Bevölkerung verteilt werden, wo sie dann in deren eingeengten Haushalten wohnen sollten.
Die nach Moiseevka deportierten russlanddeutschen Männer wurden noch im Herbst/Winter 1941 und ab 1942 auch die Frauen im Alter von 15 bis 55 Jahren in die Trudarmee[5] einberufen. Hier mussten sie unter unmenschlichen Bedingungen die Zwangsarbeit leisten. So wurde auch meine Mutter, ihre Schwester und ihr Bruder 1941 bzw. 1942 einberufen. Beide Schwestern wurden im Archangelsk Gebiet (im Bezirk Kotlas und Puksoosero, 485 Kilometer voneinander entfernt) eingesetzt. Ihr Bruder aber musste jedoch in der Stadt Krasnoturinsk seine Zwangsarbeit leisten. Gleich nach der Beendigung der Kommandantur, im Jahr 1956, war der Tod meines Onkels und meiner Großmutter das Resultat dieser schweren Zeiten. Aus der großen Familie meiner Mutter erreichte lediglich meine Tante Wilma das achtzigste Lebensjahr, alle anderen Familienmitglieder sind an den Folgen der sowjetischen Herrschaft des ehemaliges Russischen Reiches umgekommen.
Moiseevka als Deportationsort
Moiseevka ist ein Dorf an der Grenze zwischen der kasachischen Stadt Pawlodar und der russischen Stadt Omsk, gelegen am Flussufer des Irtysch, des 4.248 km langen Nebenflusses des Ob. Das Dorf blickt auf eine 100-jährige Geschichte zurück. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es von Nachfahren der russischen Siedler gegründet, in der Nähe eines ehemaligen Vorpostens der Kosakenfestung Zhelesinka. Die einheimische Bevölkerung setzte sich überwiegend aus Russen und Ukrainern zusammen. Mit dem Eintreffen der deportierten Deutschen wurde das Dorf als Sondersiedlung bestimmt, wodurch die Russlanddeutschen zur größten Siedlungsgruppe des Dorfes wurden. Die Mehrheit der neuen Bewohner aus dem Wolgagebiet war miteinander verwandt, da sie aus dem Dorf Emeljanowka innerhalb der Republik der Wolgadeutschen stammten.
Ihre Verwandtschaftsverhältnisse und ihr gemeinsames Schicksal hat ihnen an ihrem neuen Lebensort etwas Kraft gegeben. Die gemeinsame Sprache, das Zusammenleben an einem Ort, die Kultur, die Religionszugehörigkeit, die Berufserfahrung, die nachbarschaftliche und verwandtschaftliche Hilfe erleichterten den Wolgadeutschen die Integration in die neue Umgebung des Dorfes. Verwandte, Landsleute, Nachbarn sowie neue und alte Freunde waren bereit, beim Hausbau, Sprachübersetzungen, Behördengängen, Arbeiten, der Kinderbetreuung und -erziehung und bei schulischen Schwierigkeiten zu helfen. Nicht nur das: sie unterstützten und berieten einander und ermutigten sich gegenseitig. Die langjährige Erfahrung der deutschen Kolonisten auf ihrem Leidensweg war auch hier, in der Zeit der tragischsten und schwierigsten Momente der russlanddeutschen Geschichte, eine Hilfe zur Milderung und Abfederung des schmerzlichen Niedergangs des Volkes. Die Überlebensnotwendigkeit, die russische Sprache zu lernen, sich an neue Traditionen zu gewöhnen, fremde Kulturen kennenzulernen, wieder von vorne anzufangen, sich wieder ein neues Zuhause zu bauen: das alles sind Merkmale der russlanddeutschen Bevölkerung, die ihr geholfen haben, sich unter den neuen politischen, kriegerischen und strafrechtlichen Bedingungen neu zu definieren und zu statuieren.
Ich bewundere und frage mich gleichzeitig, woher diese Menschen ihre geistige Lebenskraft, ihre Energie und ihre Reserven nahmen und schöpften, da ihnen selbst die Kirchen als Glaubensort genommen wurden. Ihren Glauben mussten sie im Untergrund ausüben, wo sie sich heimlich zum Bibellesen oder zum gemeinsamen Gebet trafen. Aber selbst das war mit Schwierigkeiten verbunden, da die kirchlichen Amtsträger noch im Mutterdorf verhaftet und verurteilt wurden. Die strenge Überwachung in Form der Kommandantur, die Verurteilung als Feind der Sowjetunion oder als deutscher Spion und des damit verbundenen öffentlichen Drucks, die Aberkennung der Zugehörigkeit zu den Völkern der UdSSR und die darauffolgende allgemeine Perspektivlosigkeit in der ersten Phase der Verbannung führten dazu, dass sich die Menschen nur auf die existentiellen Bedürfnisse des Lebens konzentrierten.
Das Ende des Krieges brachte nur langsam und zögerlich positive Aussichten, allerdings nur im privaten Bereich. Ortswechsel waren noch streng verboten und polizeilich reglementiert, die Rückkehr in die alten Wohnorte waren damit für immer verwehrt. Die Zusammenführung der Familien, die Rückkehr der Mütter, Väter und Kinder aus der Trudarmee oder aus den Gefängnissen in die Verbannungsorte, die Lockerung der Reglementierung des Lebens und die Aufhebung der Kommandantur erfolgten erst viele Jahre später, im Jahr 1955. Erst dann begann das Leben meiner deutschen Landsleute: Viele haben gebaut, Kinder wurden geboren, die Nachkriegsgeneration ging zur Schule, lernte einen Beruf, heiratete und bekam Kinder.
Äußerlich schien bei den neuen Bewohnern von Moiseevka wieder alles in Ordnung zu sein, sie hatten den Standard eines normalen Bürgers der Sowjetunion erreicht, viele übertrafen diesen Standard sogar aufgrund ihrer landwirtschaftlichen Erfahrungen, ihrer gegenseitigen Unterstützung und ihrer organisierten Arbeitsweise.
Innerlich war sich die Allgemeinheit der deportierten Russlanddeutschen aber immer noch nicht im Klaren, ob die Bestrafung ihres Volkes aufgrund falscher Anschuldigungen immer noch besteht. Sind sie wieder frei? Dürfen sie wieder zurück in ihre Heimat? Wird ihre Staatlichkeit ebenfalls wiederhergestellt?
Zu einem Zeitpunkt während der politischen Tauwetterphase unter Nikita Chruschtschow wurden die erhobenen Anschuldigungen gegen die Russlanddeutschen als falsch anerkannt. Daraufhin wurde eine „taktische“ Rehabilitation vorgenommen, welche die Aufhebung der Anschuldigungen zur Folge hatte, während die verhängte Strafe und das Strafmaß jedoch bestehen blieben. Die Russlanddeutschen waren in der Konsequenz einer Straftat ohne strafrechtliche Verurteilung einer Bestrafung ausgesetzt. Meine im Jahr 1971 verstorbene Mutter sowie zahlreiche Landsleute im Dorf hegten überraschenderweise zu keiner Zeit den Wunsch, in ihre ehemalige Heimat an der Wolga zurückzukehren. Die Erinnerung an das Leben dort, das sie als „Zuhause“ bezeichneten, war stets präsent, eine Rückkehr jedoch nie ein Thema. Für sie stellt der Ort, an dem ihre Kinder und Verwandten leben, ihr Zuhause dar. Sogar die Gräber ihrer Vorfahren an der Wolga oder in der Stadt Krasnoturinsk waren für sie nie ein Anlass, dorthin zurückzukehren. Wie zahlreiche andere Russlanddeutsche haben sie die Geschichte ihrer Vorfahren nachvollzogen, von kleinen deutschen Staaten aus aufbrachen, um sich in den grenzlosen Gebieten zuerst des Russischen Reiches und später des Sowjetreiches niederzulassen. Dabei haben sie Gräber zurückgelassen, sind aber immer wieder aufgebrochen und waren somit ein Volk auf dem Weg. Ob der Weg selbst als ihre Heimat betrachtet werden kann, steht dabei offen…
Die Erfahrungen der Nachkriegsgeneration
Ich bin nach dem Zweiten Weltkrieg geboren, in der Sowjetunion wurden die Nachkriegsjahre häufig auch mit dem Begriff „Babyboom“ gekennzeichnet. Dies resultierte daraus, dass die Anzahl der Geburten in dieser Zeit signifikant anstieg. Schulen in Kasachstan waren in dieser Periode mit einer hohen Anzahl von Schülern konfrontiert. Die durchschnittliche Größe der Schulklassen lag bei 20 bis 25 Kindern, wobei diese Zahlen durch den hohen Anteil an deportierten Russlanddeutschen in der Bevölkerung noch weiter in die Höhe getrieben wurden. Diese Bevölkerungsgruppe stellte mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Moiseevka dar, weshalb auch die Mehrheit der Kinder deutsche Muttersprachler waren.
Bei nahezu allen russlanddeutschen Kindern konnte festgestellt werden, dass sie den Dialekt ihrer Eltern verstanden und diesen auch selbst sprachen. Dieser Dialekt entstand in den Mutterkolonien und wurde von den Eltern mit in die neuen Vertreibungsorte gebracht. Die Deportierten, welche noch in den Mutterkolonien eine deutsche Schule besucht hatten, beherrschten Deutsch in Wort und Schrift. Eine andere Entwicklung zeigte sich hingegen bei denjenigen, die erst nach der Deportation eingeschult worden waren. Sie waren nur in der gesprochenen deutschen Sprache der früheren Kolonien des sowjetischen Reiches zu Hause.
Die Vermittlung der deutschen Sprache erfolgte nicht in der Muttersprache, sondern in Form von Deutsch als Fremdsprache. Dabei wurde die Beherrschung der Dialektformen sowie die kulturelle Identität der deutschen Kinder nicht berücksichtigt. In den Schulbüchern wurde nicht einmal die Tatsache erwähnt, dass es in der Sowjetunion eine Wolgadeutsche Republik sowie Siedlungsgebiete in verschiedenen Republiken der UdSSR gab. Nicht in allen Familien der Deutschen wurde über diese Thematik gesprochen, da die Deportierten noch immer Angst hatten dafür bestraft zu werden. Die kompakten Siedlungen der Deutschen, zu denen auch Moiseevka zählte, waren ausschlaggebend dafür, dass die deutsche Sprache gesprochen und deutsche Traditionen und Gebräuche beibehalten wurden. Deutsch stellte für die älteren Generationen eine Kommunikationssprache dar, während die jüngere Generation, die in dem Deportationsort der Eltern aufgewachsen war, sich nur selten auf Deutsch unterhielt. Außerhalb des Hauses nutzten die deutschen Kinder für die Kommunikation untereinander lediglich die russische Sprache, da sie keine Unterstützung in der Verwendung der deutschen Sprache erhielten.
Wir als erste Generation, die im Deportationsort geboren wurde, spürten unsere Zugehörigkeit zu dem Volk der Russlanddeutschen; der Schicksalsweg unserer Großeltern und Eltern war in aller Munde. Wir sind damit geboren und haben damit auch unser ganzes Leben lang gelebt. Die große Tragödie des Volkes war für uns allgegenwärtig. Die Sitten und Gebräuche waren sehr stark verankert in dem Leben der ehemaligen deutschen Kolonisten. Dies gilt auch für den christlichen Glauben: auch wenn die Deportierten keinen Glaubensort in Form einer Kirche mehr hatten, hielten sie dennoch innerlich an ihrem Glauben fest.
Gleichzeitig war unseren Eltern und der neueren Generation in den Zeiten der Sowjetunion klar, dass die Verbannung unter diesem Regime für immer sein wird. Deswegen wurde von vielen Betroffenen alles unternommen, um das Leben so zu gestalten, als ob sie hier in Moiseevka auch für immer bleiben würden und das Dorf ihre Heimat sein sollte. Die Beständigkeit vieler Häuser der Russlanddeutschen nahm zu, da sie diese nun nicht mehr aus Lehm, sondern aus Holz und Steinen bauten. Weiterhin haben sie sich für die Sachen des Dorfes eingesetzt: der Bau einer neuen Schule, die Eröffnung eines Kindergartens, eines Postamtes, eines Kinosaals und eines Dorfgemeinschaftshauses, in welchen Freizeitangebote für Kinder und Erwachsenen stattfanden. Ein Blasorchester wurde ins Leben gerufen, Musikgruppen wurden organisiert und sogar ein Kulturprogramm für junge Menschen wurde weit über die Grenze des Dorfes bekannt. Im Hinblick auf die Landwirtschaft wurden die Russlanddeutschen zu Spezialisten. All diese Neuerungen konnten nur mit Unterstützung der Bezirkslandwirtschaftsbetriebe geschehen, da sie auch Interesse daran hatten, dass viele junge Menschen im Dorf bleiben würden oder nach der Ausbildung wieder zurückkommen würden.
Die Zeit der Perestrojka hat den Traum der älteren Generation von einer Wiederherstellung der Republik an der Wolga wieder ins Leben gerufen. Die Absage durch die sowjetische und dann auch durch die russische Regierung brachte diesen Traum jedoch zum Platzen. Dies war unter anderem der maßgebliche Auslöser der Massenaussiedlung der deutschen Bevölkerung aus der Sowjetunion, Kasachstan (auch Moiseevka) und anderen Deportationsländern in die Bundesrepublik Deutschland.
Rückkehr in die Heimat unserer Vorfahren
95% der Deutschen aus Moiseevka leben zurzeit verstreut in verschiedenen Teilen Deutschlands. Eine große Zahl der Familien lebt kompakt in Bayern in der Stadt Dingolfing und sind glücklich integriert in die deutsche Gesellschaft: sie haben sich schnell die hochdeutsche Sprache angeeignet, Häuser (wieder)gebaut, Arbeit gefunden und Kinder bekommen. Die Leute, welche die Deportation selbst, als Erwachsene(r) oder als Kind, erlebt haben, sind bereits verstorben oder sehr alt. Deren Kinder wiederum sind jetzt auch schon älter bzw. alt geworden und genaue die Menschen (zu der auch ich angehöre), die in der Deportationsort geboren sind und Ihrer Kindheit verbracht haben, sucht nach ihrer Identität.
Fazit
Im Zuge meiner Auseinandersetzung mit dem Thema habe ich mich dazu entschlossen einige meiner Landsleute, welche ebenfalls in Moiseevka gelebt haben, zu befragen. Dabei bin auf interessante Sichtweisen gestoßen.
Meine Interviews zur Frage „Was ist zurzeit Moiseevka für Sie?“ habe ich mit vier Personen durchgeführt: Frau Irma Schander. (1951, wohnhaft Dingolfing); Frau Olga Bauer (1956, wohnhaft Bonn); Frau Lydia Taskaeva. (1952, wohnhaft Deutschland); Herr Wladimir Bach (1959, wohnhaft Dingolfing). Jede(r) dieser Personen hat nicht die Deportation selbst, aber durchaus ihre Folgen, miterlebt.
Jede(r) einzelne von ihnen hat das Dorf Moiseevka zwar durchaus als Verbannungsort ihrer Eltern wahrgenommen, aber für sich selbst primär als Heimat betrachtet und sich mit Nostalgie an eine glückliche und gemeinsame Vergangenheit erinnert.
Eine zweite Frage habe ich an folgende Personen gestellt: Frau Emilia Greilig, geb. Wenzrig, (1931, wohnhaft Dingolfing) und Frau Olga Laber, geb. Schander, (1934, wohnhaft Wertheim). Diese haben die Deportation als Kinder miterlebt.
Meine Frage an sie lautete: „Haben Sie bzw. Ihre Eltern nach der Deportation jemals den Wunsch gehabt an ihren Geburtsort zurückzukehren?“.
Die Antworten beider waren eindeutig: Nein. Die Begründung dafür war, dass sie sich bereits in Moiseevka eingelebt hatten und sich nicht vorstellen konnten als einzelne Person oder Familie zurückzukehren.
Das Fazit meiner Arbeit zum Thema „Moiseevka – vom Deportationsort zur Heimat?“ lautet wie folgt:
Das Dorf im Norden von Kasachstan wird in der russlanddeutschen Geschichte als schrecklicher, kalter und fremder Verbannungsort im kollektiven Gedächtnis meines Volkes verankert bleiben. Dieses Unrecht der stalinistischen Führung der Sowjetunion gegenüber unserer Volksgruppe sollte niemals vergessen werden.
Gleichermaßen hat sich Moiseevka für die deutsche Nachdeportations-Generation zum Heimatort entwickelt. Die Erfahrungen und die Geschichte der Russlanddeutschen haben ihnen dabei geholfen, Kraft zu schöpfen und den Verbannungsort in eine neue Heimat umzuwandeln.
Fußnoten:
[1] Siehe Landkarte im Anhang
[2] Siehe Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte des östlichen Europas
[3] Siehe Eisfeld, Alfred, Viktor Herdt. Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee: ‚Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik, 1956
[4] Lexikon der Russlanddeutschen. Hrsg. v. Hans- Joachim Kathe und Wilfried Morgenstern.- Berlin.-2000
[5] Die Deutschen in Russland. Teil III. Hrsg. V. Hans-Joachim Kathe und Wilfried Morgenstern.- Berlin. 1998
Anhang
Literatur- und Bilderverzeichnis
- Die Deutschen in Russland. Teil I, Teil II, Teil III. Hrsg. v. Hans-Joachim Kathe und Wilfried Morgenstern.- 2000
- Eisfeld, Alfred, Viktor Herdt. Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee: Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik, 1956
- Lexikon der Russlanddeutschen. Hrsg. v. Hans-Joachim Kathe und Wilfried Morgenstern.-Berlin.- 2000
- Online- Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa
- Геман А. А. История Республики немцев Поволжья в событиях, фактах,докумертах.-М.:Готика, 2000
- Забвению не подлежит/Составители Болтина В.Д.,Шевелёва Л.В.-Павлодар
- Из истории немцев Павлодарского Прииртышья/Составители Болтина В.Д., ШевелёваЛ.В.- Павдодар
- Край Железинский/Составители Болтина В.Д.,Шевелёва Л.В.- Павлодар
- Очерки истории Павлодарского Прииртышья
- Открытый список сайт
- «Павлодарская область в Великой Отечественной Войне»/Составители Болтина В.Д.,Шевелёва Л.В.-Павдодар.
- Хронограф Павлодарскрй области 1938-2008
- Шпак А. Депортация немцев Поволжья в 1941году сведения об эшелонах
- Яков Геринг: «Вся моя жизнь для людей» Павлодар